Wie die Dritte-Welt-Hafenrundfahrt entstanden ist

Anfang 1983 haben Susanne Schmidt, Justus Fenner und Tilman Altenburg das „Schwarzbuch Hamburg – Dritte Welt“ veröffentlicht. Es enthielt eine kritische Recherche über die Beziehungen Hamburger Firmen und des Hamburger Hafens zu Entwicklungsländern – mit Kapiteln über Produktionsbedingungen und den Handel mit Kaffee, Kakao und Futtermitteln, über Rüstungsexporte, den Verkauf bei uns nicht mehr zugelassener Pestizide, über Arbeits- und Sozialstandards auf ausgeflaggten Schiffen und über Agenturen, die als willfährig angepriesene philippinische Frauen an deutsche Männer „verkaufen“.

Das Buch war viel erfolgreicher, als wir erwartet hatten, und wir mussten es mehrmals im Jahr nachdrucken (insgesamt wurden 14.000 Bücher verkauft). Das große Interesse ermutigte uns, verschiedene öffentliche Veranstaltungen zu den Themen des Buchs zu organisieren. In der Werkstatt 3 gab es eine Veranstaltungswoche zu Hamburg und der Dritten Welt, mit Abendveranstaltungen zu den o.g. Themen. Zum Abschluss wollten wir - einmalig - eine Hafenrundfahrt durchführen, bei der wir verschiedene passende Kaianlagen abfahren und dabei anschaulich über entwicklungspolitische Themen informieren wollten. Inspiriert hatte uns dazu die Ökologische Hafenrundfahrt, die schon von Umweltgruppen angeboten wurde.

Den Hafen kannten wir schon ganz gut, weil wir bei unserer „Detektivarbeit“ oft dort waren, auf der Suche nach Rüstungsgütern oder Pestizidfässern, um Kisten mit Teilen für das AKW Bushir im Iran zu fotografieren oder streikende Seeleute aus Niedriglohnländern auf ausgeflaggten Schiffen zu interviewen. Wir haben uns dann eine Rundfahrtsroute und eine kurze „Erzählfassung“ der interessantesten Geschichten aus dem Schwarzbuch ausgedacht; und wir haben eine Probefahrt mit Wolfgangs Barkasse gemacht (der später unser Dauer-Schipper wurde). Für die Rundfahrt haben wir bei den Veranstaltungen in der Werkstatt 3 und wohl auch durch Kleinanzeigen in der taz und dergleichen geworben.

Als wir drei am Hafen ankamen – natürlich wieder auf den letzten Drücker – , war die Überraschung groß. Auf dem Anleger Vorsetzen standen nicht die erwarteten 20 oder 30 Leute, sondern mehrere hundert. Wolfgang hat dann schnell zwei weitere Barkassen besorgt, und wir haben je 50 Leute auf jede der drei Barkassen genommen. Denen, die keinen Platz bekamen, haben wir angekündigt, dass wir gut 90 Minuten später nochmal fahren würden. Dann haben wir die erste Rundfahrt im Konvoi gemacht. Das war ein bisschen aufregend, weil sich jeder von uns eigentlich nur auf die Geschichten vorbereitet hatte, die er/sie selbst recherchiert hatte und am besten kannte; nun musste jeder von uns aus dem Stegreif mit der jeweiligen Barkasse die ganze Rundfahrt allein gestalten. Damals hatte auch keiner von uns viel Übung mit Vorträgen … aber es ging, und als wir wieder am Vorsetzen ankamen, standen da noch (oder wieder) 100 Interessierte, und wir haben gleich noch eine Rundfahrt mit zwei Barkassen nachgeschoben.

Das hat uns dann ermutigt, eine regelmäßige wöchentliche Rundfahrt anzubieten, die auch fast immer so viel Zulauf hatte, dass wir den Barkassen-Mietpreis bezahlen konnten. Und dann kamen gebuchte Sondertouren dazu, von Zivildienstgruppen, Schulen, Kirchengruppen usw. , so dass wir meistens zwei Fahrten pro Woche hatten.

Es kamen dann Freunde dazu, wie Susanne und Peter, die sich in den Themen gut auskannten und auch Rundfahrten übernahmen und die Hafengruppe gründeten. Wir drei haben in den ersten 2-3 Jahren jeweils viele Dutzend Rundfahrten gemacht, aber dann ging Justus nach Mexiko und Susanne und Tilman nach Costa Rica, und die Rundfahrten wurden von der Hafengruppe weitergeführt.

Wir haben in den letzten gut 25 Jahren an keiner Rundfahrt mehr teilgenommen, freuen uns aber sehr über das 30-jährige Bestehen und auf die Jubiläumsfahrt. Herzlichen Dank Euch allen, die ihr das Projekt am Leben erhalten habt!!


Susanne und Tilman